Mithu Sanyal
Antichristie
In dieser Hängematte, mit Blick auf diesen Himmel, zwischen diesen Blumen ist der größte Teil meines Romans entstanden. Doch angefangen hat alles in Achill Island mit einem Blick auf einen ganz anderen Himmel und ganz andere Pflanzen: Bog Cotton und Spagnum Moss. "Das ist ein großartiger Name für einen Geheimagenten", bemerkte mein Mann. "Mein Name ist Moss, Spagnum Moss." Ich hatte ein Stipendium in Heinrich Bölls Cottage in Irland und las alles, was ich über bewaffneten und gewaltfreien Widerstand finden konnte. Und Hein – wie Böll die Briefe an seine Eltern, die gerahmt an den Wänden hingen, unterzeichnete – war wieder einmal vor mir da gewesen und hatte bereits darüber geschrieben. So wie er vor mir im WDR gearbeitet hatte. Jedes Mal, wenn ich mit dem Pater Noster fahre, denke ich an ihn und "Murkes gesammeltes Schweigen". Und jetzt denke ich jedes Mal, wenn ich aus meinem Roman lese an ihn und seine Feststellung: "Widerstand ist ein Freiheitsrecht".
Mithu Sanyal, geboren 1971 in Düsseldorf, ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin, Journalistin und Kritikerin. 2021 erschien ihr erster Roman „Identitti“, der auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stand und mehrfach ausgezeichnet wurde.
London 2022, die Königin ist tot! An den Trauernden vorbei rennt Durga: internationale Drehbuchautorin, Tochter eines Inders und einer Deutschen, und voller Appetit auf Rebellion und Halluzinationen. „Antichristie“ fragt nach dem Kolonialismus und der Gewalt in uns allen. Durga soll an einer Verfilmung der überbritischen Agatha-Christie-Krimis mitarbeiten. Doch auf einmal ist es 1906, und sie trifft indische Revolutionäre, die keineswegs gewaltfrei wie Ghandi kämpfen. Was wäre richtiger Widerstand in einer falschen Welt?
Mithu Sanyal
Antichristie | Roman | Hanser Verlag | München 2024 | 544 S. | 25,00 Euro
Jury-Stimme zu „Antichristie"
Geschickt verknüpft Mithu Sanyal die rasanten Diskussionen des Filmteams über die Agatha-Christie-Verfilmungen im 21. Jahrhundert mit den Debatten der indischen Revolutionäre über den Widerstand gegen die britische Krone im Jahr 1906. Eine schonungslose Debatte über Kolonialismus, Gewalt und Widerstand, voll von brillanten, humorvollen Dialogen und klugen Beobachtungen, die lange nachwirken.
Louisa Seidel, Literaturhaus Hannover